1.11.2025
1991: Ein Jahr wie ein Spiel: erst laut, dann leise
Das Jahr 1991 war für den 1. FC Köln eines der ereignisreichsten und erinnerungsträchtigsten Jahre seiner Vereinsgeschichte – ein Mosaik aus sportlicher Aufregung, emotionalen Höhepunkten, kulturellem Aufbruch und am Ende auch tiefer menschlicher Erschütterung. Es ist ein Jahr, das nicht nur die damalige Gegenwart, sondern auch die Identität des Vereins und seiner Fans bis heute prägt. Im Zentrum vieler Entwicklungen stand die Gründung des Fanprojekts 1. FC Köln 1991 e.V., heute auch bekannt unter dem Namen Fans1991.
Die Initiative dazu ging von Michael Trippel und Rainer Mendel aus, zwei Persönlichkeiten, die die Zeichen der Zeit erkannten. Fußball war längst kein reiner Sport mehr, sondern ein gesellschaftliches Ereignis, ein soziales Bindemittel, eine emotionale Heimat. Doch diese neue Rolle spiegelte sich damals noch kaum in der Struktur rund um den Verein wider. Es fehlte ein Raum, in dem sich Fans mit ihren Bedürfnissen, ihrer Kreativität, ihrer Kritik, ihrer Leidenschaft organisieren konnten. Mit der Gründung von Fans1991 im Herbst 1991 wurde dieser Raum geschaffen. Ziel war es, eine Plattform zu etablieren, die nicht nur Fankultur sichtbar und hörbar macht, sondern auch ein verbindendes Element darstellt – generationenübergreifend, offen, basisnah. Die Idee war es, über das reine Spieltagserlebnis hinaus eine lebendige, selbstbestimmte Fanöffentlichkeit zu fördern und das schon lange bevor sich eine Ultra-Kultur in der Fanlandschaft rund um den Dom etablierte. Gerade weil die Achziger-Jahre von Gewaltszenarien geprägt waren, sollte ein geschützter Raum - gerade für junge Fans - entstehen, wo ein friedlicher Support im Mittelpunkt steht. Das Projekt verstand sich von Beginn an nicht als Randerscheinung, sondern als integraler Bestandteil des Vereinslebens. Diese Grundhaltung mündete schon wenige Monate später in der ersten Ausgabe der Fanzeitschrift Kölsch Live, die ab Februar 1992 erschien – als Sprachrohr, Stimmungsbarometer, Satireplattform und journalistisches Fanmedium zugleich.
Auch sportlich war das Jahr 1991 für den 1. FC Köln reich an markanten Momenten. Der FC schloss die Bundesliga-Saison 1990/91 auf dem 7. Tabellenplatz ab – in der öffentlichen Wahrnehmung kein überragendes Ergebnis, aber eines mit einem gewissen Prestige: Immerhin landete man vor den beiden rheinischen Rivalen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach. In Köln, wo Fußball auch „Hätzbloot“ ist, zählt das nicht selten mehr als mancher Titel. Unvergessen bleibt das DFB-Pokal-Halbfinale gegen den MSV Duisburg, das nicht nur wegen des sportlichen Ausgangs – ein souveränes 3:0 für den FC – in Erinnerung blieb, sondern wegen eines Moments, der bis heute legendären Status genießt: „Mach et, Otze!“ Die Vorgeschichte: FC-Stürmer Frank „Otze“ Ordenewitz hatte im laufenden Pokalwettbewerb zwei Gelbe Karten gesammelt und wäre somit für das mögliche Finale gesperrt gewesen. Doch Ordenewitz fand eine Lücke im damaligen Regelwerk. Eine direkte Rote Karte hätte nicht zum Ausschluss aus dem Finale geführt, sondern nur zur Sperre im nächsten Bundesligaspiel. Also schlug er, fünf Minuten vor Abpfiff, demonstrativ den Ball weg – eine Unsportlichkeit, die der Schiedsrichter mit der direkten Roten Karte ahndete. (Anmerkung der Redaktion: Damals gab es noch keine Gelb-Rote Karte, eine 2. Gelbe Karte in einem Spiel war damals eine direkte Rote Karte.) Was in diesem Moment geschah, ist Teil der Vereinsfolklore geworden: Trainer Erich Rutemöller, mit dem Spieler zuvor offenbar im kurzen Austausch, soll ihm mit einem knappen „Mach et!“ den stillschweigenden Auftrag gegeben haben, sich so den Finaleinsatz zu ermöglichen. Der Satz – „Mach et, Otze!“ – war geboren, wurde von Medien, Fans und Boulevard begierig aufgegriffen und entwickelte sich zum geflügelten Wort. Noch heute steht er sinnbildlich für kölsche Cleverness, für Improvisation, für jene ganz eigene Mischung aus Unverfrorenheit, Taktik und Witz, die man in Köln nicht nur duldet, sondern liebt. Dass der DFB den Trick nicht durchgehen ließ, Ordenewitz nachträglich für das Finale sperrte und Trainer Rutemöller eine Geldstrafe aufbrummte, gehört ebenso zur Geschichte wie die Tatsache, dass der FC das Pokalfinale gegen Werder Bremen im Elfmeterschießen verlor.
Ein weiteres prägendes Ereignis war der letzte Bundesliga-Spieltag der Saison. Ausgerechnet in Köln wurde der 1. FC Kaiserslautern durch ein 6:2 gegen den FC Deutscher Meister. Mehr als 40.000 FCK-Fans strömten ins Müngersdorfer Stadion – es war die größte Invasion eines Auswärtsanhangs in der Geschichte des Müngersdorfer Stadions. Schon vor Abpfiff drängten sich die Lauterer Fans hinter den Werbebanden, in Vorfreude auf den Titelgewinn. Nach dem Schlusspfiff war das Spielfeld ein rotes Meer. Der FC, Zuschauer im eigenen Haus, konnte dem Spektakel wenig entgegensetzen – es war ein bitterer Tag in der Domstadt, ein Spiel, das sich eingebrannt hat.
Und doch: All diese sportlichen, emotionalen und kulturellen Ereignisse wurden im Spätherbst von einem Geschehen überlagert, das sich tief in das kollektive Gedächtnis des Vereins eingebrannt hat – dem tragischen Tod von Maurice „Mucki“ Banach. Am Morgen des 17. November 1991 war Banach auf dem Weg zum Training, als sein Auto auf der A1 bei Remscheid gegen einen Brückenpfeiler prallte und in Flammen aufging. Mucki starb noch an der Unfallstelle. Der 24-Jährige galt als eines der größten Sturmtalente seiner Generation. In seiner ersten Saison beim FC hatte er auf Anhieb 14 Tore erzielt, in der laufenden Saison standen bereits wieder zehn Treffer nach nur 18 Spieltagen zu Buche. Seine Mitspieler schätzten ihn als fröhlichen, besonnenen, zurückhaltenden Menschen. Auf dem Platz war er ehrgeizig, aber nie verbissen. Ein Spieler mit großem Potenzial – und mit dem Herzen am rechten Fleck. Die Nachricht von seinem Tod traf alle wie einen Keulenschlag. Das unmittelbar anstehende Bundesligaspiel wurde abgesagt. Beim Länderspiel gegen Belgien gedachte die Nationalmannschaft mit einer Schweigeminute des Verstorbenen. Zahlreiche Wegbegleiter, Freunde, Fans und Verantwortliche bekundeten ihre Anteilnahme. „Wenn man eine solche Nachricht erhält, erkennt man die Dimensionen außerhalb des Sports“ sagte der Weltmeister Pierre Littbarski. Auch Jahre später meidet Muckis Witwe Claudia noch den Ort des Geschehens. Sie und die gemeinsamen Söhne blieben zurück – mit der Erinnerung an einen Menschen, der zu früh gehen musste. Der Tod von Mucki Banach war mehr als ein sportlicher Verlust. Es war ein menschlicher Einschnitt, der sich dem FC unauslöschlich eingeschrieben hat. Er stellte alles andere in den Schatten, ließ Ergebnisse verblassen, Geschichten verstummen, und rief auf erschütternde Weise in Erinnerung, wie schnell das, was uns selbstverständlich erscheint, verschwinden kann.
So bleibt das Jahr 1991 ein Jahr der Extreme: der sportlichen Dramatik, der kulturellen Aufbrüche, der kuriosen Momente – und des stillen Schmerzes. Es war ein Jahr, das den Verein in vielerlei Hinsicht geprägt hat. Und eines, das niemals vergessen werden wird.